Weitere Erinnerungen aus dem Zweiten Weltkrieg

Meine allererste Erinnerung stammt vom 21. August 1939, neun Tage vor dem Ausbruch des Zweiten Weltkriegs. Ich war damals knapp zweieinhalb Jahre alt und mein Vater brachte mich ins Bethesda-Spital in Basel, wo meine Mutter mein Bruder Cuno gerade zur Welt gebracht hatte. Auf dem Weg ins Spital kreuzten wir ein Brücke in der Nähe des Badischen Bahnhofs. Genau in diesem Moment fuhr eine riesige und dampfende Lokomotive der Deutschen Reichsbahn vorbei!

Im Mai 1940 häuften sich die Gerüchte, dass Hitler in die Schweiz einmarschieren würde. Vati hat mein Bruder Cuno und ich zu unserem Onkel, Götti Hans, nach Uzwil geschickt – ein klein bisschen weiter von der deutschen Grenze entfernt als Gelterkinden. Götti Hans hatte den Keller in seinem Haus mit Matratzen, Notvorrat und Radio eingerichtet. Die Nacht vom 10. Mai 1940 verbrachten wir im Keller, oben war das Haus vollkommen verdunkelt. Das ungewöhnliche Kampieren fanden wir als Buben spannend. Viel geschlafen haben wir allerdings nicht – Götti Hans lief die ganze Nacht hin und her. Oft ging er auch hinaus in den Garten und horchte, ob der Krieg sich der Schweiz näherte. Bei uns ist in dieser Nacht alles ruhig geblieben. Hitler war mit dem Einmarsch in die Niederlanden, Belgien und Luxemburg beschäftigt.

Während dem Zweiten Weltkrieg haben Mutti und Vati immer wieder Kinder von Roten Kreuz bei uns zu Hause aufgenommen. Ich war damals zwischen drei und sechs Jahren alt und Mutti erklärte mir, dass das Rote Kreuz so etwas wie Ferienlager für französische Kinder in der Schweiz organisierte. Ich kann mich noch gut an Jean-Jacques erinnern, der aus Dieppe stammte und ein paar Monate bei uns auf Besuch war. Es war ein lustiger und frecher Kerl, der lieber die Nacht beim Singen und Kartenspielen mit den französischen und polnischen internierten Soldaten auf der Wintersingen Höhe verbrachte als bei uns zuhause!

Immer wieder flogen mitten in der Nacht alliierte Flugzeuge über die Schweiz. Im Dorf gingen die Sirenen los – ein Zeichen, dass wir uns in die Luftschutzkeller zurückziehen sollten. Mit der Zeit nahmen wir diese Alarme aber nicht mehr so ernst. Als junge Buben war die Faszination für diese Flugangriffe viel zu gross. Welle nach Welle, in verschiedenen Höhen, zum Teil zu hunderten oder gar tausenden, flogen verschiedene Typen von Flugzeuge mit verschiedenen Motorlärmen über unseren Himmel. Es waren amerikanische Liberators und B17, sowie britische Halifax Bombers. Vati merkte sich die Flugzeugtypen und stoppte die Zeit zwischen Hin- und Rückflug. So konnteer abschätzen, welche Gegend in Deutschland das Ziel der Alliierten war.  

In der Wirtschaft zur Roseneck hing eine grosse Europakarte. Darauf eingezeichnet war der detaillierte Frontverlauf, sowie er aus den sieben-Uhr Nachrichten von Radio Beromünster, der BBC und des deutschen Rundfunks hervorging. Im Ausgang trafen sich die Soldaten und Unteroffiziere die in Gelterkinden einquartiert waren zu einem Abendschoppen bei Mama Gerster in der Roseneck und diskutierten intensiv mit meinem Vater die Glaubwürdigkeit der auf der Europakarte angegebenen Daten.

Volkmar Pümpin
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